Doch genau 101 Minuten nach Schließung der Wahllokale, nach einem nervenaufreibenden Auszähl-Krimi, kam für die Feldmann-Kritiker die erlösende Mitteilung: Ziel erreicht – die 153.000 nötigen Stimmen für das politische Aus des umstrittenen Frankfurter Oberbürgermeisters sind zusammengekommen. Am Ende waren es sogar über 200.000 Wahlberechtigte, die ihr Kreuz bei „Ja“ gemacht und damit für die Abwahl von Feldmann gestimmt hatten. Peter Feldmann muss sein Amt aufgeben. Keine fünf Minuten nach Erreichen des Quorums trat der SPD-Politiker auch schon selbst vor die Tür seines Büros im Frankfurter Römer, in dem er in den nächsten Tagen seine Sachen zusammenpacken muss. Der 64-Jährige räumte die Niederlage beim Bürgerentscheid über seine Zukunft ein, gab zu, dass er sich ein anderes Ergebnis erhofft hatte – und lobte gleich noch ein letztes Mal all die Wohltaten, die in seiner Ägide den Bedürftigen in der Stadt zugutegekommen seien, von kostenlosen Schwimmbad-Besuchen und Kitas bis zum günstigen Schülerticket für den Nahverkehr. Außerdem war ihm wichtig, ausdrücklich auf die 60 Prozent hinzuweisen, die nicht zur Urne gegangen waren. Damit deutete Feldmann an, dass die Nichtwähler insgeheim auf seiner Seite gestanden haben könnten, sich also eine Minderheit erfolgreich für seine Beseitigung aus dem Amt starkgemacht habe.
Frankfurt hatte die Nase voll von Feldmann
Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus. Denn bei kommunalen Wahlentscheidungen ist die Beteiligung schon seit langem in der Regel sehr viel niedriger als 40 Prozent. Dass sich überhaupt so viele Menschen zur Teilnahme am Bürgerentscheid über Feldmann mobilisieren ließen, war daher ein überdeutliches Signal: Frankfurt hatte die Nase voll von Feldmann. Von denen, die ihre Stimme abgaben, wählten 95 Prozent für eine Beendigung des Dauer-Dramas mit dem OB in der Hauptrolle. Lesen Sie auch Und wenn Feldmann schon auf die Nichtwähler hinweist: Seit 1995 die Direktwahl des Oberbürgermeisters in Hessen eingeführt worden ist, gelang es noch nie einem Kandidaten, 30 Prozent der Wahlberechtigten auf sich zu vereinen. Bei der Wiederwahl des Sozialdemokraten vor vier Jahren gegen eine äußerst schwache CDU-Kandidatin hatte Feldmann zwar in der Stichwahl 70 Prozent erhalten – aber das bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 30,2 Prozent. Umgerechnet hatten für ihn damals also gerade mal 21 Prozent der Wahlberechtigten gestimmt. Umso bedeutsamer ist in dieser Relation nun der Abwahl-Erfolg. Feldmann hatte vergeblich darauf gehofft, dass die meisten Frankfurter sich nicht genug für das Geschehen im Römer interessieren, um ins Wahllokal zu gehen. Und seine Unterstützer, von Linken über Gewerkschaften bis hin zu Fluglärmgegnern, forderten in ihren Netzwerken auch dazu auf, bei diesem Bürgerentscheid zu Hause zu bleiben. Jeder könne seinem Protest gegen das „unwürdige Verfahren“ durch Nichtteilnahme an der Wahl Ausdruck geben, so die Aufforderung. Was letztlich dafür ausschlaggebend war, Feldmann als nicht mehr tragbar zu empfinden, dürfte für jeden Frankfurter ein anderer Grund gewesen sein. Für die einen war es der viel diskutierte „Pokalklau“ bei der Eintracht, für andere die sexistische Entgleisung oder seine immer noch unklare Verstrickung in den AWO-Skandal und der Strafprozess vor dem Landgericht. Viele auch in der eigenen Partei rügten seinen intransparenten Umgang mit den Vorwürfen der Vorteilsnahme, andere waren genervt von seiner Eitelkeit, die dazu führte, bei jeder Gelegenheit sein Gesicht in eine Kamera zu halten. Dann die vielen Alleingänge, und das bis zuletzt: Gerade hat Peter Feldmann auf eigene Faust Kiew eine Städtepartnerschaft angeboten und sich mit Vitali Klitschko fotografieren lassen. Und ohne jede Absprache hat er der Binding-Brauerei, die geschlossen werden soll, städtische Hilfen in Aussicht gestellt, was selbst die Radeberger-Gruppe als Inhaberin völlig konsterniert zurückweisen musste.
„Würde des Amtes“ und Prestige der Stadt sollen per Neuwahl wieder hergestellt werden
Aber mit großer Sicherheit hat es so manchen Frankfurter noch zum Wahlgang bewegt, dass Feldmann im Korruptionsprozess zur Selbstverteidigung intimste Details aus seiner Beziehung zur Noch-Ehefrau Zübeyde Feldmann und seiner sechsjährigen Tochter preisgegeben hatte. Feldmann hat damit Menschen in Milieus vor den Kopf gestoßen, die ihm zuvor zugetan waren. Und er hat vielen Frankfurtern Dinge über sich preisgegeben, die niemand wirklich je erfahren wollte. Der Hessische Rundfunk konstatierte im ersten Kommentar nach der Abwahl, Feldmann habe die „sittliche Reife“ vermissen lassen – auch wenn das für einen 64 Jahre alten, zweifachen Vater seltsam klingen mag.
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Oft war zuletzt im Frankfurter Römer die Rede von der „Würde des Amtes“ und dem Prestige der Stadt. Beides soll nun per Neuwahl wieder hergestellt werden. Binnen vier Monaten müssen Neuwahlen angesetzt werden, die ersten Kandidaten haben bereits den Finger gehoben. Für Isabel Rautenberg von der Antikorruptionsorganisation Transparency Deutschland hat Frankfurt ein „klares Signal gesetzt gegen jeglichen Anschein von Abhängigkeit aufgrund von Vorteilen im Amt“. Das nächste Stadtoberhaupt, der Magistrat und die Stadtverordneten müssten nun alles tun, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
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„Demokratie ist manchmal auch grausam“, seufzte dagegen der Stadtverordnete Michael Müller von den Frankfurter Linken und nannte es „zynisch“, dass die Abwahlkampagne gegen Feldmann mit dem Begriff „Würde“ geführt worden sei. „Würdevoll wäre, wenn in Frankfurt niemand mehr im Müll wühlen müsste.“ Die Regierungskoalition aus SPD, FDP, Grünen und Volt, die die Kampagne angeschoben hatte, kritisierte Müller scharf: Sie sei nicht wegen Feldmann als Oberbürgermeister gelähmt gewesen, sondern weil sie unfähig gewesen sei, ihre eigenen Inhalte nach vorne zu bringen. Es sei ein „billiges Ablenkungsmanöver“ gewesen, dem SPD-Politiker dafür die Schuld zu geben.
Am Freitag wird Peter Feldmanns letzter Tag im Amt sein, so kündigte der scheidende OB selbst an. Dann könne sich die Stadt endlich wieder auf die wichtigen sozialen Themen konzentrieren und nicht auf die personenbezogen, sagte er. Als politisch denkender Mensch werde er sich aber an der Debatte über eine soziale Stadt weiter beteiligen. „Ich werde mich weiter engagieren.“ Und befragt von einem Reporter, wie es ihm jetzt gebe, sagte er: „Ich bin ein optimistischer Mensch.“